Nachdem ich im heutigen Gespräch mit Daniel seine Beweggründe für diesen Thread dargelegt bekommen habe, scheint diese ganze Diskussion mit meiner persönlichen Art des Spielens und der Einschätzung einiger Vereinsmitglieder diesbezüglich zu tun zu haben. Darum antworte ich hier einmal direkt auf den ersten Beitrag im Thread, um ein wenig meine Sicht darzulegen, obwohl ich gar nicht verstehe, wo das Problem ist.
Das Spiel bei dem Ulm-Szenario ist m.E. schlecht gelaufen, da das Szenario erhebliche Motivationsschwächen gerade in der kritischen Anfangsphase hat. Wenn ein Charakter aber keinen Grund (mehr) hat, irgendwo seine Nase hineinzustecken, weil das jemand in seinem kulturellen Umfeld (1920er Jahre, Nach-Weltkriegs-Deutschland) niemals machen würde (Obrigkeitsstaat, Omnipräsenz von Polizei und Militär, die sich professionell um "solche Sachen" kümmern), dann funktioniert der Einstieg in das Szenario nicht.
Man müßte bei solchen Szenarien
grundsätzlich vorgefertigte Charaktere, die garantiert passen, beilegen und vehement empfehlen nur diese und keine anderen zu nehmen. Dann könnte man sich natürlich die gesamten Regelseiten zur Charaktergenerierung sparen, da man augenscheinlich ja nicht wirklich individuelle Charaktere in (Kauf-)Szenarien spielen kann (bei Self-Made-Szenarien ist das natürlich anders).
Hier nun meine Antworten auf die ursprünglichen Vorwürfe:
Daniel hat geschrieben:
...Eine einzig wahre Art und Weise ein Rollenspiel zu spielen kann es natürlich nicht geben, da die Geschmäcker verschieden sind.
Genau! Das war und ist beständig meine Rede. Daher gibt es eben so viele unterschiedliche Stile im Rollenspiel - und das ist gut so.
Daniel hat geschrieben:
Jedoch wurde auf der Vereinshütte '03 eine leider fruchtlose (aber deshalb nicht weniger interessante) Diskussion entfacht, wie Cthulhu am besten / richtigsten / schönsten / spaßigsten / originalgetreusten / ... zu spielen ist.
Die Diskussion mußte fruchtlos sein, da es um Geschmacksfragen ging. Das ist wie beim Sex. Da gibt es nicht richtig oder falsch. Es ist auch im Rollenspiel immer nur die Frage, finden alle Beteiligten die Sache so wie sie gemacht wird gut und haben ihren Spaß, oder fühlt sich jemand dabei unwohl. Wenn letzteres, dann muß man sich jemanden suchen, der besser zu einem paßt. Das ist auch kein Problem, sondern in allen Geschmacksfragen die Normalität. Ich mag lieber Burger King als MacDonalds. Da werde ich gerade noch diskutieren, wo man am meisten Spaß mit den Burgern und Pommes hat. Das muß fruchtlos sein.
Die Diskussion ging aber, soweit ich meiner Erinnerung noch trauen darf, um solche Fragen wie: Ist es überhaupt möglich/sinnvoll/gewollt, daß es Cthulhu-Charaktere gibt, die 10 Jahre Echtzeit kontinuierlich gespielt werden? Ich sage dazu: ja, wenn Spieler und Spielleiter solche Kampagnen spielen, in denen das möglich ist, und sie ihren Spaß dabei haben, dann ist alles möglich/richtig/sinnvoll. Mein Charakter mit der längsten Lebensdauer hat drei Jahre Spielzeit überstanden, bevor er leider das Zeitliche segnen mußte.
Hier einmal meine Erfahrungen aus langen Jahren Cthulhu-Spiel (als Zweit-Rollenspiel):
Wenn die Kampagne langsam und vorsichtig anfängt, ein längerer Meta-Plot verfolgt wird und ein wichtiges Kampagnen-Ziel die innere Entwicklung der Charaktere ist (wie ja auch bei Engel), dann
muß ein Charakter länger überleben können (daher ist bei Engel das Ableben eines Charakters z.B. völlig in die Hände des Spielers selbst gelegt). Wenn ich eine Trilogie oder Helden-Saga schreiben will, dann bringe ich meine Helden nicht in Kapitel 1 um. Sonst kann ich nur Kurzgeschichten schreiben, was an sich vollkommen in Ordnung ist. Lovecraft hat sehr viele Kurzgeschichten geschrieben, aber auch längere Romane, in denen nicht sofort der Charakter umkommt. Auch in seinen Kurzgeschichten kommt nicht jedesmal der Held um - vornehmlich sterben die neugierigen Helden eine schrecklichen Tod, während die vorsichtigen überleben, um von den schrecklichen Ereignissen Zeugnis zu geben.
Da ich gerne Charakterentwicklung spiele (meine persönliche Vorliebe), mag ich mir nicht für jedes Szenario einen neuen Charakter vom Endlospapier abschneiden müssen. Diese Charaktere sind dann vielleicht als "one shot"-Charaktere besser passend für ein beliebiges (Kauf-)Szenario. Für eine Kampagne jedoch braucht es eine Anfangsmotivation und ebenso eine stete Erneuerung bzw. ein Wandel (nicht ein Abebben) der Motivation des Charakters. Man erlebt Dinge, die die Sicht auf die Welt, wie man sie bisher kannte, erschüttern. Dadurch erhält das gesamte Werte-Set einen Impuls zur Neuordnung. Was dabei herauskommt sind "Aussteiger" aus der normalen Gesellschaft. Diese werden mit laufender Kampagne immer mehr ihrer ursprünglichen Umgebung entfremdet und suchen sich die Gesellschaft von "ihresgleichen". Das ist das Tolle an Cthulhu: ich fange mit
ganz normalen Menschen an, die sie sich unter dem Entsetzlichen des Mythos wandeln und/oder sterben/wahnsinnig werden. Das sind für mich die "Helden" in Cthulhu-Szenarien. Ein echter Held ist immer jemand, der gegen äußere und mehr noch innere Widerstände das tut, was er für richtig hält - und Erfolg hat oder beim Versuch umkommt (aber wenigstens mit Charakter!).
Ich kann keine echte Beziehung zu einem Charakter aus der Klon-Mühle aufbauen, von dem ich schon im voraus weiß, daß er den heutigen Abend nicht überstehen wird. Ich will aber immer eine Beziehung zu meinen Charakteren haben, da ich der Meinung bin, daß man immer einen Teil eigener Persönlichkeit in das Spiel seiner Charaktere legt. Das geschieht ganz unbewußt. Mit den Jahren ist mir immer offenbarer geworden, daß es so ist. Das ist sicher ein Grund für mich im reifen Alter noch Rollenspiele zu spielen. Es ist im besten Sinne faszinierend.
So habe ich Cthulhu im Spiel kennengelernt:
In meinen aktiveren Cthulhu-Zeiten haben wir bei unseren Szenarios durchaus eine gewisse Sterblichkeit gehabt. Mir ist aber nur ein Szenario präsent, wo wirklich alle umgekommen wären. Zumeist war es zwischen ein Viertel bis der Hälfte der Charaktere (meist die "Muscles" nicht so oft die "Brains"). Man kann den Kampagnen-Plot sehr gut an einem "Brain"-Charakter wie einem Professor, einem Author etc. festmachen, die eben nicht "ins Feld" ziehen, sondern dafür immer mal wieder Detektive, Assistenten etc. losschicken. Deren Schicksal ist zumeist ein Grauenhaftes. Aber der Plot-Träger wird nicht gleich geopfert, sondern gleitet nur langsam in den Wahnsinn ab, wobei er versucht das Richtige zu tun, mehr in Erfahrung zu bringen und dabei noch ein menschliches Wesen zu bleiben. In manchen längeren Runden haben wir es so eingerichtet, daß ein Spieler zwei Charaktere spielt. Ein "Brain" und einen "Muscle"-Charakter. Das hat super geklappt, da die aktive Ermittlungsarbeit vor Ort riskant ist und man trotz Verlust des Feldagenten noch einen Charakter im Spiel hat, an dem die Erkenntnisse zusammenlaufen. Diese "Brain"-Charaktere haben ganz anderer Risiken, als direkt von Kultisten umgebracht zu werden (naja, das kam auch mal vor): sie sind es, die die verbotenen Bücher lesen und ihre Sanity wegbrennen, indem sie versuchen zu verstehen, was in der Welt vorgeht. Sie sind es auch (Ramieliten lassen grüßen), die nicht alles Wissen, über das sie verfügen, wirklich weitergeben, da es zu schrecklich für die Leute im Felde wäre. Diese müssen nur soviel Wissen, daß sie ihre Einsätze überleben können. Die "Brains" wissen mehr, als gut für sie sein kann.
Ich habe den typischen Splatter-Filmen nie etwas abgewinnen können. Zu meiner Anfangszeit im Rollenspiel gab es als stärksten Konkurrenten zu "Call of Cthulhu" das Spiel "Chill". Dieses hat mehr den klassischen Horror (Zombies eat my brains) und typische Splatter-Szenarien zum Ziel gehabt.
Ich habe Cthulhu auf einem Con in Hamburg 1982 kennen- und schätzen gelernt. Das Tolle an Cthulhu war und ist für mich, daß ich keinerlei Quellenbände über das Regelwerk hinaus jemals anschaffen muß. Ich brauche nur ein paar gute Geschichtsbücher, eine Bibliothek in der Nähe und (heute) das Web um alles, was ich über eine bestimmte Epoche unserer Geschichte wissen will, zu recherchieren (Ha! Die Recherche ist ja schließlich auch die Hauptbeschäftigung der Spielercharaktere.). Was mich fasziniert hat, ist, daß man bei Cthulhu die Stimmung wie sie z.B. in "The Haunting" aufgebaut wird (ich meine NICHT das moderne Remake!), einfangen und im Rollenspiel rüberbringen kann.
Nach meiner ersten Begnung mit Cthulhu - wo mein Charakter durch einen irren Kultisten mittels eines üblen Zaubers zerlegt wurde - hatte ich mir einen ersten Kurzgeschichtenband von H.P.Lovecraft besorgt. Ich habe nur den Fehler gemacht, ihn gleich abends "zum Einschlafen" lesen zu wollen. Meine erste Lovecraft-Geschichte "Pickman's Model" hat mich so gepackt, daß ich ganz kribbelig wurde. Ich wollte eigentlich schlafen, andererseits wollte ich jetzt mehr wissen, was es noch alles in dieser verstörenden Welt gab. Ich habe das Buch in einem Zuge durchgelesen und hatte dann leider eine sehr kurze Nacht. Was Lovecrafts Sprache ausmacht ist das Umschreiben, das Untertreiben bis es zu spät ist, das Verschleiern, bis man sich entschlossen hat den Schleier endlich zu lüften und Entsetzen einen packt. Man möchte den Helden zurufen, laßt es besser, lest das Buch nicht! Aber gleichzeitig möchte man es eigentlich selbst lesen und mehr wissen, wohlwissend, daß es nicht gut ist. Das war kein Splatter (meine Schwester hat sowas immer gerne gelesen - Bücher, aus denen das Blut gleich literweise troff). Das war schrecklich auf eine verlockende, anziehende Art und Weise. Und das ist der Stil, in dem ich gewohnt bin Cthulhu zu spielen.
Daniel meinte, es gäbe einige im Verein, die damit Probleme haben, wie ich das Spiel mag. Wenn das so ist, dann mögen sie Manns genug sein und sich hier im Thread oder per PN äußern. Ich möchte schon wissen wem was nicht paßt. Wer aber meint, mir etwas sagen zu müssen, muß dann damit leben können, daß ich ihm antworten werde. Ich trage IMMER einen Streit aus. Wer also einen haben will, ist bei mir sicherlich an der richtigen Adresse. (Ich weiß selbst, daß das ein Charakterfehler ist, und daß ich diplomatischer, verzeihender, nachsichtiger

sein sollte. Doch wenn ich mich ungerechtfertigt irgendwelchen ungeäußerten Anschuldigungen und Fehleinschätzungen ausgesetzt sehe, dann lade ich jeden ein - nein, ich FORDERE jeden zu seinem Wort und seiner Meinung zu stehen und es mir offen zu sagen. Ich sage dann, was ich davon halte. Das muß man dann eben abkönnen.)